Der verschleierte Morgenhimmel
macht wenig Hoffnung auf einen sonnigen Tag. Immerhin ist es trocken.
Unser Weg führt durch eine breite, wenig ausgeprägte grasige
Mulde und steigt zunächst nur allmählich an. Zahlreiche Lobelien
und Senecien säumen nunmehr den Pfad. Bei schönem Wetter muss
das hier ein traumhafter Flecken Erde sein, heute allerdings reicht es
nur für das Prädikat "lohnend". Ja, lohnend ist auch
diese Tagesetappe, auch wenn von unserem Ziel wieder einmal nichts zu
sehen ist. Wahrscheinlich würde die Umrandung dieses Hochtals ohnehin
einen Blick auf die Gipfelregion verhindern; aber müssen denn die
Wolken immer tiefer kommen?
Der gleichmäßige
Trott, der nur selten durch Fotostops unterbrochen wird, bietet Gelegenheit
zu ausgiebigen Unterhaltungen. Auf diese Weise stellen Gerd und ich fest,
dass wir beide elektronischem Spielzeug nicht abgeneigt sind. Zu diesen
Spielzeugen zählen auch unsere HAC-Handgelenk-Höhenmesser, die
uns verraten, dass wir mittlerweile schon die magische 4000m-Marke überschritten
haben. Wie genau die Dinger gehen, weiß allerdings keiner so recht zu
sagen, weil wir keine Gelegenheit haben, die Anzeige an vermessenen Punkten
nachzujustieren. Mit einem GPS-Gerät gäbe es dieses Problem
nicht, denke ich und bedauere erstmals, dass ich das Ding als unnötigen
Ballast zu Hause gelassen habe.
Am Rande des Lake Hoehnel,
einem an zwei Seiten von steilen Flanken umgebenen Bergsee rasten wir.
Die Stimmung ist nicht schlecht, aber doch ein wenig gedämpft, was
auch kein Wunder ist, wenn man im Regen stehend heißen Tee schlürft
und ein paar Kekse knabbert. Am morgigen Gipfeltag dürfte das Wetter
ruhig ein wenig besser sein, denke ich und bin mit diesem Gedanken wohl
nicht allein.
Wenig später überschreiten
wir einen wenig ausgeprägten Kamm und wenden uns ostwärts, um
in der Südflanke des breiten Teleki-Tals mit wenig Höhenverlust
zur Teleki-Hütte zu gelangen. Der Weg ist schmal, nass und glitschig
und erfordert erhöhte Aufmerksamkeit. Wer will sich schon auf dem
schmierigen Untergrund hinlegen, um hinterher so auszusehen wie seine
Schuhe? Die bieten zwar keinen respektablen Anblick mehr, halten aber
jedenfalls die Füße noch trocken.
Bei der Ankunft auf der Teleki-Hütte
ist es mit den trockenen Füßen nicht mehr ganz so weit her,
besorgniserregend ist es allerdings auch nicht. So gut es geht versuchen
wir, unsere Regensachen zum Trocknen aufzuhängen. Mit schnellem Erfolg
ist allerdings nicht zu rechnen, denn die auf 4250 m gelegene Hütte
ist ein unbeheizter Steinbau, in dem die Luftfeuchtigkeit bei dem Dreckwetter
nahezu 100% betragen dürfte. Besonders unangenehm ist das für
diejenigen von uns, die im Laufe des Tages ihre Handschuhe angezogen hatten
und nun versuchen müssen, die Nässe aus ihren Fingerwärmern
zu verbannen. Ein wenig Hoffnung verspricht in dieser Hinsicht der Raum,
in dem unsere Begleitmannschaft das Essen zubereitet.
Unsere Schlafsäcke breiten
wir auf Doppelstockbetten auf, die trotz der kalten Matratzen einen angenehmen
Schlaf verheißen. Glücklicherweise ist die Hütte nicht
voll belegt, so dass wir ungenutzte Betten für unsere Ausrüstung
beschlagnahmen können. Wer nicht in seinen Schlafsack kriecht, sitzt
im Aufenthaltsraum und lässt sich mit Tee und Keksen verwöhnen.
Am späteren Nachmittag
erhält das Licht, das durch die beschlagenen Scheiben dringt, eine
wärmere Farbe. Zögernd reißt es auf und die Sonne lässt
sich erstmals blicken. Nach wenigen Minuten ist kaum noch jemand in der
Hütte. Im Talschluss schimmern Felswände durch die allmählich
weichenden Wolkenreste und schon bald ist der Point John, ein mächtiger,
dem Gipfelmassiv westlich vorgelagerter, freistehender Felszahn zu sehen.
Es dauert nicht lange, bis auch der Hauptgipfel sichtbar wird. Unser morgiges
Ziel verbirgt sich noch hinter einigen Nebelfetzen, aber was solls. Immerhin
werden wir morgen auf den 4883 m hohen Point John hinunterschauen.
Wer nicht damit beschäftigt
ist, seine Kleidung zum Trocknen auszubreiten, turnt mehr oder weniger
aufgeregt mit der Kamera umher, versucht, seine Eindrücke auf den
Film zu bannen oder steht einfach da und genießt den Anblick. Nicht
allzu lange freilich, denn noch vor Sonnenuntergang zieht es sich wieder
zu und die Abendkühle treibt uns zurück in die Hütte.
Zum Abendessen gibt es eine
Cremesuppe und Spaghetti Bolognese. Unmittelbar anschließend packen
wir so gut es geht unsere Rucksäcke und legen uns beizeiten schlafen.
Ich fühle mich trotz der noch nicht ganz abgeklungenen Erkältung
gut und schlafe schnell ein. Gegen Mitternacht wache ich mit unangenehm
schmerzendem Nacken auf, auch die Kieferhöhlen tun mir weh. Sobald
ich mich aufrichte, geht es mir besser, aber jeder Versuch, eine angenehme
Liegeposition zu finden, scheitert. Der Teufel weiß, wo dieser Mist
wieder herkommt! Ruhelos wälze ich mich hin und her und schlafe nur
noch minutenweise. Kurz nach eins treibt es mich auf die Toilette. Draußen
kommt mir Helmut entgegen. Scheiße! entfährt es uns fast gleichzeitig
angesichts der nassen Schneeflocken, die vom vollständig bedeckten
Himmel fallen. Die Gedanken an den Gipfelaufstieg sind in diesem Augenblick
eher düster: Mount Kenia im Nebel. Wenig optimistisch lege ich mich
wieder hin und dämmere dem Wecken entgegen.
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